Einige Betrachtungen über Männer, Frauen und Andere, arrangiert in netten kleinen Frage-Antwort-Abschnitten. Ich könnte einen mehrseitigen Aufsatz über fast jede Sektion verfassen, aber dann wären wir in drei Wochen noch hier.
Q: Wie unterscheiden sich Männer- und Frauenkleidung?
A: Der Unterschied ist kleiner, als er klingen mag. Bei dem Wort „Robe“ denkt man allgemein an Könige, Jedi und asiatische Gelehrte, während „Kleid“ mehr mit victorianischen ballgowns und 60er-Jahre-Hausfrauentracht zu tun hat. Tatsächlich ähneln sich morakische Roben und Kleider im Schnitt, der Farbwahl und Länge sehr. Bei beiden Geschlechtern wird eine schlanke Taille betont. Der Adel legt Wert darauf, bloße Oberarme zu zeigen, so es das Wetter erlaubt.
Morakische Mode ist im Gegensatz zur unseren primär nach Funktionalität, ergo nach Klasse, definiert.
| mask. | fem. | |
| Untätig (Gesellschaftl. Anlässe, Feiern, Zeremonien) | Robe | Kleid |
| Nicht arbeitstätig, aber aktiv (Kind unter 12, Adel im Alltag) | Kittel | Hemd und Rock |
| Arbeiter | Hemd und Hosen | Hemd und Hosen |
Als wir Jinu kennenlernen, trägt sie Arbeiterhosen, während Nesto Belial in seiner ersten Szene im Kittel erschreckt. Aus der Kleidung kann man viel über die soziale Position lernen: Natürlich trägt nicht nur Hosen, wer selbst in der Fabrik steht, sondern jeder, der sich als gewerkstätig versteht. Vom Graf wird beispielsweise ebenfalls „Arbeiter“-Mode erwartet (Untätigkeit ist beim Regenten unerwünscht), während Charline mit ihrem neuen blauen Kleid überdeutlich ihre Distanz von der restlichen Dienerschaft signalisiert.
Q: Was ist das morakische Verständnis von Geschlecht?
A: Zitat aus dem mrk. Gesetzbuch, Abschnitt Menschenrecht:
„Jedes Kind wird im zwölften Jahr nach Beurteilung seiner angeborenen Veranlagung, d.h. zeugend oder empfangend, entsprechend als Mann oder Frau gekennzeichnet und ist ab diesem Tag den entsprechenden Gesetzen oder Verboten unterworfen. Es ist die Ansicht des Staats, dass jeder Mensch mit dem unwiderruflichen Recht auf individuelle Freiheit geboren wird und in Bezug auf die eigene Person im Rahmen des Gesetzes absolute Freiheit genießt. Es ist die Verpflichtung jedes Individuums, dem Staat jede Änderung seiner Person unversehends mitzuteilen, inklusive, aber nicht ausschließlich, der Namensänderung, Heirat oder Scheidung, Ergänzung oder Veränderung der identifizierenden Tätowierung […].“
Da das Geschlecht in der Tätowierung verzeichnet ist, bedeutet der letzte Satz übersetzt, dass man gegen eine solide Bearbeitungsgebühr auf dem Amt mit einer Nadel und etwas Tinte sein legales Geschlecht (m/f) ändern lassen kann. Da das mrk. Gesetz Menschen zwar vorab nach ihren Genitalien einteilt, sich jedoch keine Autorität über ihre Person gibt, hat sich in Moran ein etwas anderes Verständnis von Geschlechtsidentität entwickelt. Die Feinheiten unterscheiden sich von Region zu Region, allgemein bekannt sind aber vier Arten, sich zu bezeichnen: Mann (goar), Frau (seha), Dazwischen (lawesz) und Weder-noch (nastajem). Der Übergang ist ohnehin oft eher fließend: Morai hat keine geschlechtsspezifischen Pronomen, fast alle Kurznamen und Kosenamen sind unisex, das Patronym kann frei gewählt und verändert werden, und der Nachname ist neutral (nicht wie in vielen slawischen Sprachen z.B. Gawrilow/Gawrilowa). Zugehörigkeit zu einem Geschlecht wird durch andere Indikatoren erklärt. Es gibt beispielsweise klare Unterschiede zwischen Schmuck und Haar für goar, seha und nastajem, und lawesz weist sich durch eine Mischung von goar– und seha-Elementen aus. Hierzu aber an anderer Stelle mehr!
Lawesz bedeutet übrigens auch räumlich „dazwischen“, ähnlich wie das mrk. Wort für schwul sich als „andersherum“ übersetzt. Es gibt kein Wort für trans: Wer sagt, er ist ein Mann, ist dann eben ein Mann.
Q: Meine Mutti sagt, das ist unrealistisch.
A: Oh, keine Sorge, ich habe das im Text bewusst an einem anderen Beispiel schon erklärt. Lies‘ doch noch mal die Stelle, an der Sasatin die Kawrateska infiltriert. Alles, was sich wie ein Hund verhält, ist in Moran ein Hund…
Q: Warum ist es kriminell, eine Lesbe zu sein?
A: Graf Amalranth (hier schweres Seufzen einfügen). Drei Grafen in Folge waren für Kontrollzwang, Brutalität und Unnachgiebigkeit bekannt: Amarok (u.a. Begründer der Hexenjagd), Amalranth (mrk. ethnische Säuberungen, „falsche Frauen“, Gesetze gegen Fahrende und Heimatlose), und Uskoniew (Pläne zur absoluten ethnischen Säuberung von Süd-Khjerawe). Tito, dem die genozidale Ader vollkommen fehlt, war als Sohn eine richtige Enttäuschung. Amalranth führte brachiale Strafen für Frauen ein, die „sich der Geburtentradition entzogen“ (leises Würgen), und begründete das durch Patriotismus. Khjerawische Kinder werden mit größerer Häufigkeit und nach kürzerer Schwangerschaft geboren, und die panikschürende Behauptung, Khjerawar würden Morakar in naher Zukunft verdrängen und ersetzen, wurde aus Amalranths Mund verbreitet und allgemein akzeptiert. Sein Sohn Uskoniew, deutlich pragmatischer veranlagt, schwächte die Strafe ab. Verstümmelte Frauen konnten schließlich nicht mehr arbeiten und Steuern zahlen. Allerdings führte er in enger Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst das diabolische Prinzip der Mitwisserschaft ein. Eine „falsche Frau“ zu kennen und nicht zu melden, wurde viel schwerer bestraft, als eine „falsche Frau“ zu sein. Uskoniew war ein absoluter Meister der Manipulation und nutzte Denunziation als Werkzeug, mit dem sich das Volk nicht nur beherrschen, sondern präzise kontrollieren ließ. Es gibt mehrere moderne Bewegungen, die die Aufhebung dieser Paragraphen fordert; z.B. die republikische Vereinigung und die Rawy-Solska.
Q: Warum sind fast alle Fürsten Männer?
A: Weil Uskoniew ein zutiefst gestörtes Frauenbild hatte. Historisch gesehen ist das sehr ungewöhnlich. Tito hat nur zwei Fürsten ernannt, einer davon ist Selise var Harlenbrig.
Q: Gibt es Einschränkungen für Frauen?
A: Außer der Diskriminierung gegen wlw-Beziehungen, nein. In der Kindererziehung arbeiten meist beide Elternteile mit, bzw. das gesündere Elternteil geht in die Fabrik/auf das Feld und das ältere oder schwächere bleibt mit den Kleinkindern zu Hause. Frauen sind für gewöhnlich in jeder Sparte der Gesellschaft gleichwertig vertreten. Adlige Frauen können außerdem erben. Varon ist ein geschlechtsneutraler Titel. Gladis steht in der Thronfolge hinten an, weil Tito selbst Kinder hat; Arven wäre jedoch auch Kronprinz und Thronfolger, wenn er keinen Penis hätte. Frauen sind nicht zum Militärdienst verpflichtet.
Q: Wie steht Moran im globalen Durchschnitt?
A: Kurzum: Besser wird es nicht. Ich verwende an dieser Stelle bewusst nicht das Wort „fortschrittlich“, weil dieser Fortschritt sich in Moran vor über tausend Jahren vollzogen hat und sehr tief in der Volksseele verankert ist. Die später eroberten Länder (Swarstaria, Dijawora, Ksuandra) wurden bei der Übernahme natürlich dem morakischen Recht unterworfen. Die Republik Diavora war ohnehin ein menschenfreundlicher Ort, die Ksuandra hat sich ebenfalls an den Landesstandard angepasst. Nur Swarsta-Dorn und Swarsta-Ijet, deren ursprüngliche Kultur viel weniger auf Klassenunterschied und stärker auf Geschlechterrollen fixiert war, machen mitunter Probleme. Die Freiheit, über sich selbst zu bestimmen, wird in vielen Kreisen noch immer als fremdes, invasives Konzept betrachtet.
Khjerawe lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Vor der Kolonialisierung hatte ungefähr jeder Stamm eine andere Vorstellung von Identität und Sexualität, häufig in Verbindung mit der Gottheit, die sie am meisten verehrten. Knapp tausend Jahre später ist davon leider nicht mehr viel zu erkennen. Ähnliches gilt für die Hundert-Flüsse-Insel.
Sewona schließlich ist eine erzkonservative und zutiefst religiöse Gesellschaft. Unter Sitra und Ravat gibt es nur Heterosexualität und angeborenes Geschlecht. Sewona verachtet Moran dafür, sich von der organisierten Religion getrennt zu haben, und es gibt sehr wenige moderate Stimmen in der Regierung. Man muss allerdings erwähnen, dass der Staat Sewona ebenfalls eine große ethnische Gruppe verschlungen und ihr Land erobert hat: Die Imringr-Clans, die entlang der Kalten Küste siedeln. Die Imringr unterscheiden sich kulturell stark vom Rest des Landes und fordern noch heute Unabhängigkeit. Lelia Tavsdyr, Sprecherin des maurischen IBG, stammt beispielsweise aus einem solchen Clan.
Q: Wie steht’s ansonsten mit Sexualität?
A: Moran (aner)kennt die folgenden vier Orientierungen:
– Geradeaus (heterosexuell)
– Andersherum (homosexuell)
– Beidseitig (bisexuell)
– Desinteressiert (asexuell)
Bei den Bezeichnungen gibt es regionale Unterschiede. Menschen können einander nach Belieben monogam heiraten (vor Amalranth uneingeschränkt, heute alle bis auf lesbische Paare. Es tut mir leid, Freunde, ihr müsst auf den Sturz der Reminar oder Arvens Reformen warten ;-;). Schwule Paare können adoptieren oder die leiblichen Kinder des einen Partners als Kinder beider eintragen lassen.
Q: Und was ist „normal“?
A: Morakische Normalität ist, keine besondere sexuelle Präferenz zu haben. Homo- und Heterosexualität werden ebenso fraglos akzeptiert. Asexualität ist ungewöhnlich, wird im Großteil der Fälle aber achselzuckend hingenommen. In Familien, in denen etwas vererbt wird (Titel, Vermögen, Wissen), wird oft Wert auf Blutsverwandtschaft gelegt, d.h. ein schwuler Sohn darf zwar seinen Freund heiraten, muss der Ehe aber aus irgendeiner Quelle ein leibliches Kind beisteuern. Gladis, die Nesto in eine heterosexuelle Ehe mit seiner eigenen Cousine zu zwingen versucht (was für uns zunächst vertraut mittelalterlich klingt), hat nach morakischem Verständnis absolut einen Schuss weg.
Monogamie ist die Norm, und jeder Mensch kann nur einen weiteren heiraten. Polygamie und offene Beziehungen sind verbreitet genug, um nicht skandalös zu sein, besonders in urbanen Zentren.
Was Geschlechtsidentität angeht, sind Mann und Frau (ob cis oder trans) bei weitem am häufigsten vertreten. Es gibt vor allem in den Städten auch eine stattliche Anzahl von Menschen, die sich lawesz (dazwischen) verorten. Nastajemar, die sich auf der binären Skala überhaupt nicht einordnen können, sind seltener und werden nicht immer respektiert, besonders in ländlichen Kreisen.
Q: Wie sieht ein morakisches Coming Out aus?
A: Coming Out ist nur generell nötig, wenn man sich von einer allgemeinen Norm distanziert. Daher ist es beim Thema Sexualität für Männer eher selten – ein „Ne, ich mag Frauen nicht“ ist etwa auf der gleichen Ebene wie „Ne, ich trage nicht gern rot“. Höchstens Asexualität ist eine Erklärung wert, vor allem, wenn Oma unbedingt Enkel haben wollte.
Homosexuelle Frauen verschweigen dies meistens eisern: Sie haben nicht nur die gesellschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen zu fürchten, sondern auch Uskoniews Mitwisserschaftsgesetz. Wer will schon seine Familie zu Kriminellen machen? Innerhalb kronenfeindlicher Bewegungen gibt es viele offene Lesben („Was soll’s, sie richten uns sowieso hin.“). Auch Transfrauen sind von diesem Gesetz zwar nicht anvisiert, jedoch stark betroffen: Wenn sich ihre Partnerinnen nicht sofort von ihnen trennen, machen sich beide als „falsche Frauen“ schuldig.
Q: Warum lassen sich homosexuelle Frauen nicht als Mann registrieren?
A: Die Umschreibung jeglicher Personendaten wird von einem Wahrheitsseher wie Alchor bestätigt. Dazu zählt auch die Änderung des Geschlechts. Das soll primär Wehrdienstverweigerer abschrecken.
Q: Wie bezieht sich das auf die Charaktere, die man schon kennt?
A: Eine Vielzahl schillernder, leichtsinniger, wütender Gestalten spuken über meine Seiten. Bei manchen würde es der Geschichte vorgreifen, ihre Identität zu diskutieren, deshalb folgt hier keine Auflistung. Außerdem, was geht es uns an? Aber ja, Mau ist voller Leute, die wir in die LGBT+-Ecke einsortieren würden. Aus morakischer Sicht besteht zwischen Jinu (straight) und Nesto (schwul) natürlich wenig Unterschied. Schließlich beschränken beide ihre Auswahl, wenn auch auf unterschiedliche Weise…