Das Öl im Getriebe: Belabesch

Belabesch [Eigenname]: Orlenzeichen byel-hafk-set-/-besk, abgeleitet von Alt-Morai „biel beresch(weiße Furt); vgl. Bielga von „biel gard“ (weiße Festung), Oklinbesk von „oklinem beresch“ (Kornbauernfurt) und Bereschaia von „beresch andjan“ (Färbergosse)

Es bietet sich durchaus die Frage an, welche Verwendung eine Industrienation mit einer nahezu allwissenden Oberschicht für den steten Zufluss von blutjungen, vollkommen überqualifizierten Kultmitgliedern hat, der aus den Toren der Belabesch-Schule kommt. Der Belabesch-Absolvent hat nicht nur eine überragende Allgemeinbildung erhalten; er spricht mindestens zwei Fremdsprachen und drei Dialekte fließend, liest Orlenzeichen und Alt-Morai, und hat ein Verständnis von Poesie, Geschichte, Ethik und Psychologie. Hinzu kommen die Spezialisierungen: Fachwissen in Wirtschaftstheorie und Rechtswesen, Manipulation und Verhörmethoden, Diplomatie und Staatskunst. Jeder Zwölfjährige (achtzehn Jahre Lebenszeit auf der Erde), der das Belabesch-Institut verlässt, hat die weltweit beste Bildung genossen und in jedem Fach gute bis herausragende Ergebnisse erzielt.

Im Durchschnitt verbringt ein fertig ausgebildeteter Theoretiker (blau) sechseinhalb Jahre außerhalb der Schule, ein Kommandant (rot) zwölf Jahre und ein Mannsjäger (grün) nur zwei Komma acht.

Eine extreme Menge an Zeit und Geld auf ein rigoroses Trainingsprogramm zu verschwenden, das in den seltensten Fällen zu finanziellem Gewinn führt, wirkt noch absurder, wenn man diese Zahlen kennt. Die Hälfte aller Mannsjäger ist in ihrem Leben weniger als 2,8 Jahre im Einsatz. Sie erledigen ihren Auftrag, und wenn sie überleben, erstatten sie ihrem Herrn danach Bericht. Dann – je nach Vertrag – bleiben sie ihm hörig oder kehren sofort nach Belabesch zurück.
Infiltratoren haben die besten Chancen auf langfristige Beschäftigung, denn das IBG, der größte Abnehmer, ist nicht verschwenderisch. Detektive werden hauptsächlich von der Garda oder der Stadtwache erstanden, um interne Fehlstände aufzudecken, und nachdem sie sich die Hände beschmutzt hat, werden sie nur allzu gern wieder nach Belabesch entlassen. Meuchelmörder letztlich sind, so sie nicht ins Ausland verkauft werden, die Eintagsfliegen der Schule und kehren mit einer Rate von über 94% nach weniger als einem halben Jahr zurück.

Erfolg über alles.

PLAKETTE ÜBER DER SCHLAFSAALTÜR

Das System funktioniert genau, wie es soll, und so lohnt es sich, seine Struktur zu hinterfragen. Uns ist ein ähnliches Konzept als planned obsolescence bekannt, die morakische Bevölkerung würde es mit einer Sollbruchstelle vergleichen. Ob man Druckerpatronen ein künstliches Verfallsdatum verpasst oder einen Pfeil anritzt, sodass er an einer bestimmten Stelle bricht und die vergiftete Spitze im Fleisch des Feinds stecken bleibt: Ein Produkt wird absichtlich schwächer gemacht, als es andernfalls gewesen wäre, und der genaue Punkt seines Versagens wird im voraus bestimmt.

Die Sollbruchstelle jedes Belabeschkiem ist genau definiert, und wir wollen uns damit an dieser Stelle bewusst nicht beschäftigen. Eingehen will ich auf die extreme Fragilität der Absolventen – denn fragil ist jeder einzelne, ob er nach einigen Wochen zurückkehrt oder wie Alois und Sandrine Jahrzehnte außerhalb der Mauern verbringt. An den Versagern, um die sich unsere Geschichte dreht, lässt sich der Effekt der lebenslangen Indoktrinierung gut feststellen. Belabeschkar sind nicht nur von konstanten, unbezwingbaren Selbstzweifeln geplagt – sie sollen jegliches Versagen sofort erkennen – und leiden an vielzähligen Neurosen, sondern sind explizit dazu erzogen, außerhalb der Mauern nicht überlebensfähig zu sein.
Octopus umgeht seine mentalen Ketten, indem er sich in Jinus Dienst stellt und die klaffenden Lücken zwischen seinen Gedanken mit Drogen überbrückt. Sasatin Petrowny, isoliert und hochsuizidal, ist ein viel besserer Indikator für das Ergebnis, das ein flüchtiger Absolvent erwarten darf. Sasatins ist das bestmögliche Ergebnis. Es gibt kein Leben außerhalb von Belabesch.

„Man kann den Jungen aus dem Armenhaus holen, aber kann man das Armenhaus auch aus dem Jungen holen?“

LIVI MICHAEL, DIE FLÜSTERNDE STRASSE

Eine ganze Reihe von Unterrichtsbausteinen zielen allein darauf ab, die Absolventen lebenslänglich an die Schule zu binden, und wer diese Lektionen seit dem Kleinkindalter durchläuft, hat statistisch gesehen keine Chance, jemals ein eigenständiges Leben zu führen. Natürlich gibt es widerspenstige Geister, doch die erreichen nicht das Abschlussalter.

Erfolgskriterien

Fünf Voraussetzungen erfüllen alle erfolgreichen Absolventen unabhängig ihres Zweigs und ihrer Spezialisierung; als da wären

  1. Austauschbarkeit
  2. Selbstkontrolle
  3. Rückkehrgarantie
  4. Dissoziation
  5. Gehorsam

Austauschbarkeit ist der Grund, weshalb alle Schüler das gleiche exzessiv anmutende Programm durchlaufen. Musste Sasatin als Infiltrator einer Unterstadt-Bande jemals ein alt-moraisches Gedicht analysieren? Nein. Doch er musste Schlösser knacken, das Schusterhandwerk imitieren und die Straßenpreise von Opium und Sukra nennen können. Wäre Sasatin erfolglos bei diesem Auftrag gestorben, hätte das IBG einen Ersatz bestellt, und der Rückkehrer, der während seines ersten Dienstes vielleicht den studierten Dolmetscher eines adligen Sewerans spielte, muss plötzlich aus dem Stehgreif einen authentischen Schustergesellen mimen. Austauschbarkeit ist das Erfolgsrezept von Belabesch. Wer nicht in jeder Disziplin fundiert genug ist, um die Schuhe seines Nebenmanns füllen zu können, muss in einem Fach die 100 Punkte erreichen und als hochspezialisiertes Werkzeug dienen. Wem auch das nicht gelingt, der darf sich von seinen Zukunftsplänen verabschieden. In jedem Jahrgang erreichen ca. 2-3% der Absolventen die 100 und damit ihren Abschluss.

Selbstkontrolle, bereits im Kontext der Fragilität der Schüler erwähnt, ist die mächtigste Waffe gegen den Individualismus. Anstelle ein schwarz-weißes Konzept als Wahrheit zu etablieren, das sich brechen und abstreifen lässt, wird ein wenn-dann Mechanismus in der kindlichen Psyche verankert, dessen Ausrottung fast unmöglich ist. Drohungen wie draußen wirst du versagen, also komm zurück; niemand außer uns wird dich annehmen, also komm zurück sind Aussagen, deren Richtigkeit sich beweisen oder widerlegen lassen. Schlagsätze wie diese sind leicht zu isolieren und vom eigenen Gedankenstrom zu trennen, vor allem, wenn sie mit gleichem Wortlaut oft wiederholt wurden. Natürlich lehrt Belabesch Mantras und einprägsame Gedankenketten, doch niemals im Kontext der Selbstkontrolle.

Die belabeschke Selbstkontrolle ist das konstante Hinterfragen und Beurteilen der eigenen Taten und Gedanken, weit über den Unterrichtskontext hinaus. Kinder werden früh angewiesen, vor versammelter Klasse ihre soeben gemachte Aussagen zu benoten, und für eine Fehleinschätzung bestraft. In späteren Jahren führen das Ethikprogramm und die stetige Anwendung von messbaren Werten auf subjektive Empfindungen zu einer Zementierung der Selbstkontrolle. Schülern wird stets mitgeteilt, welches ihrer eng gesteckten Entwicklungsziele sie gerade verfehlen: Ausdauer, innere Bereitwilligkeit, Mathematik… Und die harschen Konsequenzen für Versagen, mit denen sie aufwachsen, tun ihr übriges.

Die Rückkehrgarantie ist von einem Außenstehenden vielleicht am schwersten nachzuvollziehen. Es sollte unmöglich sein, eine derart große Menge von Menschen (man erinnere sich, jede Prowidenz hat eine Belabesch-Schule) über einen Kamm zu scheren. Es gibt offenkundig Versager. Also muss es doch wenigstens unter denen einige geben, die in Freiheit leben und sterben?
Belabesch wurde von den Priestern von Rawat gegründet und läuft in der Form, wie wir es heute kennen, seit 945 Jahren unter der Aufsicht des IBGs. Das sind 1417 Erdenjahre Zeit, eine verlässliche Methode der Gehirnwäsche zu entwickeln.
Natürlich gibt es Unfälle, die Absolventen ereilen und dafür sorgen, dass sie außerhalb der Mauern sterben. Doch es kann kein Leben außerhalb von Belabesch geben. Höchstens geliehene Zeit, gestohlene Zeit, ein Band, das gedehnt wird, bis es reißt. Und alle – gesuchte Versager wie hochdekorierte Sekretäre – sind sich dessen vollkommen bewusst.

Dissoziation ist schnell zu erklären. In diesem Fall bedeutet der Begriff nichts als die Verweigerung von Assoziation; eine bewusste, mentale Abschottung gegenüber all derer, die außerhalb der Mauern aufgewachsen sind. Belabesch ist ein geschlossenes System mit eigenen Geschichten, Liedern und Riten. Es ist für einen Absolventen unmöglich, sich ehrlich und auf Augenhöhe mit einem Außenstehenden verbunden zu fühlen. Die Wir-gegen-Sie Maxime wird früh gelehrt, und wer sein Leben lang dazu erzogen wird, die Mechaniken der Welt auf Befehl hin zu manipulieren, sich darin zu tarnen und mit der Berechenbarkeit ihrer Einwohner zu spielen, wird darin nie Heimat finden.

Zu guter Letzt: Gehorsam. Die belabeschke Definition dieses Begriffs weicht ein wenig von der herkömmlichen ab. Doch kein Schüler ohne tiefsitzenden Wunsch, den Lehrern zu gefallen, erreicht einen Abschluss. Vorgetäuschter Gehorsam bricht im Angesicht einer Feuerprobe letztlich ohne Ausnahme.

Diese unendliche Fremdheit

Die Ehefrau von Ifrit var Remin, dem Tausend-Gulden-Prinz, schrieb im Kerker ein Buch. Die Seiten wurde von einem Wachmann einzeln aus dem Wrungail geschmuggelt, und nach Ifrits Tod wurde das Dokument veröffentlicht. Es gewährte einen selten intimen Blick auf das Leben an der Seite eines Belabesch-Absolventen und ist seit mehreren Jahrhunderten indiziert.

[…] er aß und trank aber nicht mit mir, denn er vertraute mir nicht, das erkannte ich an der Art, wie er mich betrachtete. Ich habe Kinder gesehen, die Insekten so beschauten: Schillernde, vielbeinige Dinger, die in einem Weckglas krabbelten und nie begriffen, wie sich daraus entkommen ließ. Ifrit isst mit seinen Gefolgsmännern, wobei er stets Acht gibt, worüber sie sprechen […] und woher sie heute gekommen sind. […] er beschlief mich mit Widerwillen und ließ sich in keiner Weise von mir berühren; den Kamm des Dieners nahm er nicht wahr, doch wenn ich sein Haar anfasste, packte er mich am Handgelenk und verursachte mir Schmerz. Dabei war kein Zorn in seinem Blick, er war sich des Ursprungs des Reflexes nicht bewusst und sieht ihn als natürlich an. […] Ich muss gestehen, dass ich diese Theorie […] testete. Wie ich erwartet hatte, stumpfte seine Reaktion auch nach einem Dutzend sanfter Berührungen nicht ab, auch stellte er nicht in Frage, was ich da tat. Für Ifrit war meine Motivation so schleierhaft wie mir die seine, doch ihn plagte keine Neugier. Wie ein Pferd, das mit dem Schweife die Fliegen verjagt, packte er mich wieder und wieder an der Hand.
Von mir gab es nichts zu erreichen, denn ich gehörte ihm schon, und das war mein ganzer Zweck. Unter seinen Mannen hörte ich sein Gelächter und beobachtete, wie er sich aalgleich und flink durch die Gespräche bewegte. Wenn wir allein waren, fiel dieses Verhalten ganz plötzlich von ihm ab, ohne eine Minute des Übergangs, was mir am Anfang Angst bereitete. Ifrit zeigte nach dem Ablegen dieser Maske keine Müdigkeit; ihm schien das eine vertraute, gewöhnliche Aufgabe zu sein wie mir das Schreiben von Briefen. Es wäre falsch […] zu behaupten, mir gegenüber habe er nie Emotion gezeigt. Ich will sagen, dass ich diese Emotionen nicht verstand.

[…] Ich habe die Rolle gefüllt, die mir gegeben wurde, und nie darüber geklagt. In mancher Hinsicht, obwohl ich bei den Ratten schlafe und Ifrit in den Daunen, fühle ich mich ihm verbunden. Ifrit ist ein Reisender aus einem unbekannten Land, der uns vom jenseitigen Ufer eines unüberbrückbaren Flusses beobachtet. Ich konnte ihn nicht berühren, und er nicht mich, denn er spricht die Sprache einer anderen Heimat. Diese Distanz ist ein Gift, das ihn zersetzen […] und lange nach meinem Tod auch Ifrits Ende bringen wird. Ich hege keinen Hass mehr gegen meinen Mann. Wenn er zu seinen Ahnen heimkehrt, werden sie ihn einlassen, doch er wird dort kein Ende dieser unendlichen Fremdheit finden.

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